Konjunktur-Interview

Im Südwesten stehen die Zeichen auf Rezession

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Stimmung im Land hellt sich auf – L‑Bank-ifo-Geschäftsklima bleibt quartalsübergreifend aber deutlich im negativen Bereich

„Nach Ansicht der meisten Konjunkturexperten stehen die Zeichen im Hinblick auf das Gesamtjahr 2023 auf Rezession. Hoffnung macht, dass die Inflationsrate in Baden-Württemberg im September gesunken ist. Auch der Negativtrend der Konjunkturstimmung setzte sich im letzten Quartalsmonat nicht fort. Entscheidend bleibt aber, dass wir alle Kräfte darauf lenken, die digitale und nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft bestmöglich zu bewältigen“, bewertet L‑Bank-Vorstandsvorsitzende Edith Weymayr die aktuelle Lage.

Karlsruhe, 13.10.2023. Die Stimmungslage der Südwestunternehmen hat sich über die Sommermonate im Vergleich zum zweiten Quartal weiter verschlechtert. Trotz einer Erholung im September liegt der L‑Bank-ifo-Geschäftsklimaindex zum Quartalsende deutlich unter dem Niveau zur Jahresmitte. Insbesondere die Erwartungen für die kommenden Monate sind in allen Wirtschaftssektoren nach wie vor klar von Pessimismus geprägt.

Frage: Frau Weymayr, die Konjunkturstimmung in Baden-Württemberg hat sich im Vergleich zum Vorquartal weiter verschlechtert. Was sind die Hauptursachen?

Antwort: Bei der Ursachenforschung muss man nach Wirtschaftssektoren differenzieren. Wenn man sich die Umfrageergebnisse näher anschaut, fällt auf, dass sich das Geschäftsklima insbesondere im verarbeitenden Gewerbe und im Bausektor im Vergleich zum Juni noch einmal deutlich eingetrübt hat. Im verarbeitenden Gewerbe spielen dabei neben den bekannten strukturellen Problemen der Wirtschaft nun auch zunehmend konjunkturelle Probleme in China eine Rolle, die das Exportgeschäft belasten. Im Bausektor und vor allem beim Wohnungsbau ist das Umfeld hingegen weiterhin vor allem durch das höhere Zinsniveau und die gestiegenen Kosten denkbar ungünstig, was sich zunehmend in der Auftragslage der Bauunternehmen niederschlägt.

Frage: Die Situation im Wohnungsbau ist also weiterhin angespannt. Können Sie uns ein aktuelles Stimmungsbild der Branche geben?

Antwort: Man muss sich klarmachen, dass sich das Umfeld im Baugewerbe in relativ kurzer Zeit radikal verändert hat. Das lässt sich gut an den folgenden aktuellen Ergebnissen der L‑Bank-ifoInstitut für Wirtschaftsforschung-Konjunkturumfrage verdeutlichen: Mehr als ein Drittel der befragten Wohnungsbauunternehmen klagt derzeit über fehlende Aufträge. Eine vergleichbare Situation gab es zuletzt am Höhepunkt der Finanzkrise Ende 2008. Dementsprechend berichten die Unternehmen bereits seit mehr als einem Jahr von einem immer stärkeren Rückgang ihrer Bautätigkeiten. Im September war außerdem der deutlichste Rückgang der Baupreise seit 2010 zu verzeichnen. Auch hier scheint es eine Trendwende zu geben. Wir haben es insgesamt mit einem umfassenden Paradigmenwechsel zu tun und es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, bis sich sowohl die Unternehmen als auch die Bauherren hierauf vollumfassend eingestellt haben und ein neues Marktgleichgewicht entstehen kann.

Frage: Der Bau gilt ja gemeinhin als Konjunkturlokomotive. Haben die aktuellen Probleme daher auch schon Auswirkungen auf die Gesamtkonjunktur?

Antwort: Natürlich haben die massiven Probleme im Baugewerbe einen nicht unerheblichen negativen Effekt auf die Wirtschaftsleistung. So ist das baden-württembergische Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 % geschrumpft. Auf Bundesebene belief sich der Rückgang sogar auf 0,3 %. Nach Ansicht der meisten Konjunkturexperten stehen die Zeichen auch im Hinblick auf das Gesamtjahr 2023 auf Rezession. Diese tendenziell pessimistische Einschätzung teilen auch die Privathaushalte. So hat sich in unserer L‑Bank-GfKGesellschaft für Konsumforschung-Verbraucherumfrage das Konjunkturklima zuletzt wieder eingetrübt; der entsprechende Indexwert liegt klar im negativen Bereich.

Frage: Dürfen wir dann zumindest für das kommende Jahr wieder mit einer neuen konjunkturellen Dynamik rechnen?

Antwort: Das hängt stark von der weiteren Entwicklung der Inflationsrate ab. Wenn sich der Anstieg der Preise verlangsamt, gewinnen auch die Konsumenten wieder an Kaufkraft und es entstehen neue konjunkturelle Impulse. Hoffnung macht in diesem Zusammenhang, dass die Inflationsrate in Baden-Württemberg im September auf 5,1 % gesunken ist. Im kommenden Jahr rechnet das ifo-Institut für Deutschland dann sogar nur noch mit einer Teuerungsrate von 2,6 %. Das deckt sich grundsätzlich auch mit dem Empfinden der Menschen im Land. So liegt das L‑Bank-GfK-Preisklima zwar immer noch auf einem hohen Niveau, aber deutlich unter den Rekordwerten vom Sommer letzten Jahres.

Frage: Was sind die Voraussetzungen, dass Baden-Württemberg auch zukünftig wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleiben kann? Oder müssen wir uns an Stagnation und Wohlstandsverluste gewöhnen?

Antwort: Entscheidend ist, dass wir alle Kräfte darauf lenken, die digitale und nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft bestmöglich zu bewältigen. Wenn Baden-Württemberg es schafft, hierbei mit innovativen Lösungen vorne dabei zu sein, haben wir auch die besten Voraussetzungen, unseren Wohlstand trotz aller Krisen und Probleme zu wahren. Als Förderbank ist unsere zentrale Maxime daher auch, die Menschen und Unternehmen im Land bei dieser Transformation mit unseren Förderangeboten bestmöglich zu unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass Baden-Württemberg mit seinen wandlungsfähigen mittelständischen Unternehmen und seinem Forschungsdrang gute Voraussetzungen hat, den Wandel zu schaffen, um auch zukünftig ein attraktiver und gefragter Wirtschaftsstandort zu sein.

Hintergrund:

Für den L‑Bank-ifo-Konjunkturbericht werden monatlich über 1.200 Unternehmen zu ihrer Einschätzung der aktuellen Geschäftslage sowie ihren Erwartungen für die nächsten sechs Monate befragt. An der L‑Bank-GfK-Verbraucherumfrage zur Ermittlung des Preis-, Konjunktur-, Einkommens- und Anschaffungsklimas beteiligen sich in der Regel rund 300 Privatpersonen. Für den L‑Bank-Wohnungsbau-Report wird die baden-württembergische Baubranche einmal im Quartal einer vertieften Analyse unterzogen.

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